„Untreue“ – das Dilemma zwischen Sicherheit und Abenteuer

Heilpraktikerin für Psychotherapie

Es gibt sie… diese Tabuthemen. Und paradoxerweise sind gerade diese Themen, über die niemand so offen sprechen möchte, für sehr viele Menschen relevant. Nichts seltenes oder einzigartiges.

So auch das Thema: Untreue. So, wie der Treueschwur bei der Heirat ein festes Ritual ist, ist wohl auch das Untreusein ein Bestandteil in vielen Beziehungen.

Bei der Suche nach der Definition von Untreue, landen wir erst einmal beim Strafrecht. Das ist nicht das, was hier weiter hilft… Ein Blick auf die Synonyme von Untreue: Betrug, fremdgehen, Affäre, Abenteuer, Liebelei, Romanze, Verhältnis, Ehebruch, Verrat, Seitensprung, Treulosigkeit. Das kommt dem heutigen Thema schon näher.

Um doch noch kurz eine Verbindung zum Strafrecht herzustellen – ein kleiner Rückblick in die Vergangenheit: In der Bundesrepublik wurde im August 1969 das Gesetz außer Kraft gesetzt, nach dem Ehebruch strafrechtlich verfolgt wurde.

Untreue, Affären, Seitensprüngen –  Die Zahl der Frauen und Männer, die ihrem Partner untreu waren und/oder sind, ist schwer zu bestimmen, da es ein sehr breites Spektrum gibt, wie Untreue jeder für sich definiert.
Wann ist denn jemand untreu? Was bedeutet Untreue?

Wo fängt Untreue an?

Küssen? Heiße Texte? Pornos gucken? Online-Flirts? One-Night-Stands? Affären? Heimliche Verabredungen? Phantasien?

Und die gleich anschließende Frage: Sind Sie mit Ihrer Partnerin/Ihrem Partner genauso großzügig wie mit sich selbst? Gelten die „Regeln“ für beide gleichermaßen?

Die meisten Paare gehen in die Beziehung mit der Voraussetzung: Monogamie und Treue. Hier gibt es kein Verhandeln oder Spielräume, sondern das Versprechen, der Glaube, die Annahme, dass kein Begehren außerhalb der Beziehung mehr stattfinden wird. Das klingt gleichermaßen nach einer einfachen, wie traurigen Annahme. Ist das der Blick durch die berühmte rosarote Brille, die Gefahr läuft mit zunehmenden Beziehungsjahren etwas an Farbe zu verlieren?

Untreue ist nichts neues oder modernes. Schon immer sind Menschen fremd gegangen und heutzutage ist es wohl noch einfacher, vielseitiger und anonymer möglich, infolge der zusätzlichen digitalen Versuchungen.

Warum gehen Menschen fremd?

Es wäre wohl einfach zu sagen: diese Männer und Frauen haben eine schlechte Beziehung. So simpel ist es nicht. Denn auch in intakten Beziehungen werden Grenzen überschritten. Die Gründe sind wohl genauso vielseitig, wie die Definition jedes einzelnen.

 

Wenn diese Motive dazu führen, die Grenzen zu überschreiten, dann steht oft auch die Unfähigkeit zur Kommunikation mit dem Partner/der Partnerin und/oder die Unehrlichkeit, auch mit sich selbst, im Weg.

Es erfordert viel Mut mit sich selbst und der bestehenden Beziehung auseinander zu setzen und zu hinterfragen. Viele klammern sich an Gewohnheiten fest, an vergangene Versprechen, die jedoch im Laufe des Lebens ihre Gültigkeit verlieren können. Diese zu überprüfen und abzugleichen, kann sehr hilfreich sein, um der Unzufriedenheit auf die Schliche zu kommen.

Hilflosigkeit und die moralische Frage

Im Praxisalltag begegnen mir viele Menschen, die mit Affären, Betrug und Fremdgehen in Berührung gekommen sind. Manchmal ist es das Hauptthema und bei anderen Klienten kommt es nebenbei zum Vorschein. Betrüger und Betrogene.

Sowohl die Betrogenen als auch die, die betrügen, können mit einer Hilflosigkeit konfrontiert sein, die sie leiden lässt. Es geht um Selbstwert, Ratlosigkeit, Wut, Verletzlichkeit und den Blick auf sich selbst, auf die Beziehung, auf das Leben und die Moral.

Dieser Blick kann sehr schwer und mit Veränderungen verbunden sein, so dass sich viele lieber in Ausreden und Schönreden flüchten. Das erscheint erst einmal einfacher, ist jedoch auch ziemlich scheinheilig. „Es hatte nichts zu bedeuten.“ „Ich erinnere mich gar nicht genau daran.“ sind nur zwei Beispiele der Scheinheiligkeiten.

Macht es das in irgendeiner Art besser oder den Vertrauensbruch weniger dramatisch?

Ein brodelnder Cocktail

Um die unterschiedlichen Aspekte des Themas Treulosigkeit und Affären zu verdeutlichen, habe ich Meinungen, Geschichten und Gedanken aus Gesprächen mit Freunden, Bekannten, Klienten, Reflektierten und Abenteurern gesammelt. Einige Zitate und Ausschnitte aus ihren Geschichten möchte ich hier fest halten, um zu zeigen, dass dieses Thema nicht nur eine schwarze und eine weiße Seite hat. Dazwischen stehen viele Fragen, Zweifel, Verletzlichkeit, Sehnsucht und Chancen:

„Eine Affäre ohne Gefühle!! Das ist doch die Lösung, oder?! Ist das weniger verwerflich? Geht das? … Oder ist der Seitensprung eher ein brodelnder Cocktail von Gefühlen: Verlangen, Hingabe, Zweifel, Leidenschaft, Aggressionen, Verzweiflung, Begehren…“

„Sie hat mir erzählt, dass sie mich betrügt… und ich konnte ihr nicht böse sein. Ich fühlte eher nichts. Und dann habe ich mich gefragt, was nicht stimmt? Kann ich was tun? Warum hat sie das getan? Wir haben angefangen über unsere Beziehung zu sprechen. Was ist wichtig? Was vermissen wir? Das ist gut.“

„Mir passiert das nicht zum ersten Mal und ich frage mich immer wieder, wonach ich mich sehne? Was suche ich? Abenteuer? Ja… vielleicht. Allerdings ist das irgendwie nicht meine einzige Antwort auf diese Frage.“

„Eine Affäre hat so viel Potenzial zum lebendig und frei fühlen, gleichzeitig wirbelt so viel ungewolltes und negatives mit. Gewissensbisse. Das hoffen, dass er sich wieder meldet. Eifersucht. Fragen, wie: Bin ich schön genug? Bin ich in meiner Beziehung noch richtig? Ich bin in dem Fall zwar der „Täter“, es fühlt sich aber gar nicht so machtvoll an…“

„Fremdgehen beginnt im Kopf, wenn die Waage in der Beziehung nicht mehr im Gleichgewicht ist und man das Gefühl hat immerhin die persönliche Waage ins Gleichgewicht bringen zu können, in der Hoffnung damit auch die Beziehungswaage etwas ausgleichen zu können. Das einzige, was mich am Fremdgehen stört, ist nicht die Basis zu haben mit seinem Partner über diese Bedürfnisse zu sprechen.“

„Wir haben endgültig die Grenze überschritten, einen anderen Raum betreten. Kein Schönreden. Keine Ausreden. Wir stehen in einem anderen Raum: Gemeinsam? Jeder in einem anderen? Sehen wir uns? Wand? Tür? Vorhang? Freie Sicht?
Der Raum erscheint groß, ich könnte lachen, schreien, tanzen… im nächsten Moment ist er klein, ich passe kaum zusammengekrümmt dort hinein.“

Unsicherheit und Magie

Zum Abschluss noch ein ausführlicher Erfahrungsbericht, der mir zur Verfügung gestellt wurde. Darüber bin ich sehr dankbar und voller Respekt für die gefundenen und ehrlichen Worte. Die Geschichte ist gleichermaßen individuell, wie allgemein, denn ich bin mir sicher, dass viele, in welcher Form, mit welchen Aspekten auch immer, sich wieder erkennen werden:

„Affäre – Ein ziemlich umfassendes Thema. Dazu habe ich etwas Meinung und wenig Ahnung. Ein Versuch meine Sicht und Erfahrung darzustellen: Als alles begann, war ich in einer Beziehung mit der (werdenden) Mutter meiner Kinder. Mir war (unbewusst) klar, dass die Beziehung wahrscheinlich nicht mehr allzu lange, schon gar nicht lebenslang halten würde. In der Beziehung war ich nicht unglücklich, zu dem Zeitpunkt dachte ich noch es fehlten nur immer mehr die Gefühle und Sex, um die Zweifel zu bändigen. Der Wunsch und Wille an unserem, an meinem Lebenstraum festzuhalten und die Hoffnung, dass es doch funktioniert, war sehr groß.
Gleichzeitig fehlte mir Mut und Vertrauen auf meine Gefühle zu hören und Probleme anzusprechen. Probleme anzusprechen war nicht meine Stärke und wenn ich es doch tat, blieb es ohne Veränderung.
Ich lernte eine neue Kollegin kennen, mit der ich mich auf Anhieb sehr gut verstand. Aus Gruppentreffen wurden Einzeltreffen. Wir verstanden uns super, mochten uns total, freuten uns mega über diese neue geniale Freundschaft. Irgendwann merkten wir, dass wir längst mehr empfanden als Freundschaft. Wir wurden immer mehr Teil des Alltags und Lebens des anderen. Es wurde emotional, frisch verliebt. Und dann kam das körperliche Begehren dazu. Wieder begehrt zu werden, war wunderbar, ein über seit 5 Jahren vermisstes Gefühl.
Das Verlangen, die Sehnsucht, die Intensität sowohl emotional als auch körperlich stiegen immer weiter, es war nie genug.
Vor dieser Außenbeziehung hatte ich nie das Verlangen nach einer Anderen gespürt, treu sein war mühelos und selbstverständlich. Dieses Mal hat es mir total unerwartet komplett den Boden unter den Füßen weg gerissen. Ich konnte nicht aufhören, wollte nicht aufhören. Unfassbar intensiv, schön, aufregend. Pures Glück. Fantastisch, magisch.
Wie konnte es so weit kommen? Nun… weil ich vorher zu mir selbst nicht ehrlich war. Keinen Mut hatte, konfliktscheu und unsicher war, kein Vertrauen hatte, kopfgesteuert.
Irgendwann habe ich die Konsequenzen aus meinem Handeln und meinen Gefühlen gezogen und die Beziehung zur Mutter meiner Kinder beendet. Soweit wie möglich unabhängig von meiner Affäre, eine Beziehung war mir nicht mehr möglich, egal wie die Affäre ausgeht.
Trotz der unglaublichen Schmerzen, die ich dabei spüre und den noch größeren Schmerz, den ich auslöse, hat sich die Entscheidung so schnell so richtig angefühlt. Das bestärkt und beschämt mich zugleich. Ich bin froh, dass ich es zu Ende gebracht habe und gleichzeitig bin ich wütend, dass ich es soweit habe kommen lassen. Meine Entscheidung bereue ich nicht… den Weg dahin sehr.“

Auch Sie kennen dieses Thema?
Gönnen Sie sich Mut und Ehrlichkeit und reden darüber, nutzen Sie die Chance mehr über sich und Ihre Beziehung zu erfahren.

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